Vor einigen Wochen habe ich auf meinem TikTok Kanal ein Video veröffentlicht, in dem es um den Kontaktabbruch von erwachsenen Kindern mit ihren Eltern ging. Das Video ging sofort durch die Decke und ich bekam unzählige Kommentare von Betroffenen. Ich selbst war von der Fülle der Kommentare und der Resonanz auf das Video völlig überrascht.
Seitdem bekomme ich viele Anfragen und habe viele Klienten im Coaching, mit denen ich daran arbeite, Lösungen für diese Situationen herauszuarbeiten und schmerzhafte Erlebnisse mit narzisstischen Eltern aus der Vergangenheit zu überwinden. Sehr häufig taucht dabei die eine Frage auf: „Darf ich meine Mutter/darf ich meine Eltern ablehnen?“
Loyalität über allem Schmerz
Wenn ich diese Frage höre oder lese, dann würde ich am liebsten meinen Klienten eine Umarmung geben, denn hinter dieser Frage steckt soviel Schmerz, soviel aushalten, soviel runterschlucken von Wut und Traurigkeit und soviel Loyalität der eigenen Familie gegenüber, dass gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und auf die eigenen Wünsche Rücksicht zu nehmen.
Weil es die Mutter ist….
Weil es die Mutter ist, weil es die Eltern sind, wird schlimmster Schmerz und Missbrauch, der einem als Kind widerfahren ist, ignoriert und ausgeblendet und versucht nach außen eine heile Welt zu suggerieren, obwohl innerlich alles schreit, „Nein, lass mich in Ruhe, ich will dich nicht sehen, ich kann nicht mehr, ich habe keine Kraft mehr, es tut so weh.“
Und all dieser Schmerz kämpft gegen dieses riesige Loyalitätsgefühl den eigenen Eltern gegenüber, bis hin zu der Frage: „Darf ich das?“
Die eigenen Bedürfnisse
Diese Frage zeigt ganz deutlich, wie wenig es dem Klienten erlaubt war und wie wenig er/sie heute in der Lage ist, auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten und diesen zu folgen. Es wurde gelernt und tief verinnerlicht, dass die eigenen Bedürfnisse nicht wichtig und erst recht nicht gleichwertig, mit den Bedürfnissen der anderen sind. Fazit, die Bedürfnisse von anderen Menschen sind wichtiger als meine eigenen. Daraus resultiert die Frage: „Darf ich das überhaupt?“
Wer mit narzisstischen Eltern aufgewachsen ist, hat gelernt sich selbst weniger oder gar nicht wahrzunehmen und er hat auch gelernt sich möglichst unsichtbar zu machen. Bloß nicht auffallen. Denn sichtbar sein oder auffallen, bedeutete Schmerz.
Die Angst vor Bewertung
Als Erwachsene handeln wir dann genauso und den eigenen Eltern gegenüber herrscht eine riesige Loyalität weit über die eigenen Grenzen hinaus. Wenn dann die Eltern alt werden, kommen noch ethische und moralische Bewertungen von der Außenwelt bzw. der Gesellschaft hinzu. Sätze wie: „Man kann doch nicht seine alte (kranke) Mutter alleine lassen:“, „Wie herzlos du bist.“, „Aber es ist doch deine Mutter!“ etc.
Dabei sind diese Menschen alles andere als herzlos. Sie haben ein großes Empathievermögen und sind sich von der kognitiven Ebene, also vom Verstand her gesehen, sehr bewusst und klar darüber, dass es ihnen nicht gut tut, mit der Mutter bzw. den Eltern zusammen zu sein. Das spüren sie deutlich seit Jahren und trotzdem gehen sie sie besuchen und kümmern sich um sie. Und dennoch kann es irgendwann zu dem Punkt kommen, an dem sie einfach nicht mehr können. An dem sie spüren, dass sich ihrer Körper zusammenkrampft, wenn sie nur daran denken, dass sie am Wochenende zu den Eltern fahren sollen, dass sie Schlafstörungen und Schweißausbrüche haben, dass sie gar nichts mehr essen können, weil die Vorstellung am Wochenende bei der Mutter zu sein, ihnen die Kehle zuschnürt. Der eigene Körper streikt so deutlich und signalisiert NEIN, ich will da nicht hin, ich kann nicht mehr.
Oft reden wir uns dann ein, dass es ja nur noch ein paar Jahre sind (wenn die Eltern bereits sehr alt sind) oder dass es sich so gehört, hier kommt die Loyalität durch. Doch meine Meinung ist, dass niemand hier auf der Welt ist oder es verdient hat, sich schlecht behandeln zu lassen. Das klingt vielleicht sehr hart, aber jeder ist auch in jedem Alter lernfähig. Es sei denn Krankheitsgründe schließen das lernen aus. Und wenn ich als erwachsene Frau oder als erwachsener Mann, der unabhängig sein Leben lebt, im Beisein meiner Eltern mich immer noch klein, wertlos, minderwertig und schlecht fühle, weil das Verhalten der Mutter bzw. der Eltern dazu führt und darf ich mich selbst auch schützen. Und nichts anderes ist es, was mit einem Kontaktabbruch bezweckt wird. Man will sich schützen.
Traditionen sind keine Gesetze!
All die gesellschaftlichen Regeln, Traditionen und moralischen Wertevorstellungen sind solange in Ordnung, wie sie dir gut tun. Wenn sie dir schaden, darfst du sie loslassen. Und du darfst sie erst recht loslassen, wenn sie gesundheitlichen Schaden anrichten.
Es gibt Regeln im Leben, wie z.B. Verkehrsregeln. Diese sind zu deinem Schutz und zum Schutz anderer Menschen und daher sind sie absolut sinnvoll und angebracht. Aber viele gesellschaftliche Regeln oder auch kirchliche Regeln, die wie eine schwere dunkle Wolke über deinem Leben hängen, die darfst du loslassen, wenn sie dir nur Schmerz bringen.
Und Eltern, die keine guten Job als Eltern gemacht haben, weil sie ihr Kind vielleicht missbraucht, geschlagen und ständig verletzt haben, die haben es nicht verdient geehrt zu werden, wie die Kirche zumindest früher propagiert hat. Du brauchst sie deswegen auch nicht hassen, denn dieser Hass würde nur dazu führen, dass du dich selbst wieder schlecht fühlst und vor allem, dass du dich mit diesen negativen Gefühl auch wieder selbst schädigst.
Wege zur Lösung
Wenn du das Erlebte aus deiner Kindheit aufarbeitest, kannst du dorthin kommen, dass du verstehst, warum deine Mutter und/oder deine Eltern so sind wie sie sind, weil auch sie tragen ihre eigene Geschichte und ihre Schmerzen aus ihrer Kindheit in sich und sind deshalb, wie sie sind. Bestenfalls kannst du ihnen irgendwann vergeben und kommst zu einem neutralen Verhältnis zwischen euch. Aber ehren ist nicht angebracht, wenn es dir schon beim Gedanken daran, den Magen umdreht. Du brauchst aber auch nicht vergeben und auch nicht verstehen, um auf dich und deine Bedürfnisse zu achten und auch nicht, um dich aus den Fesseln der narzisstischen Verhaltensweisen zu befreien. Es ist viel geschafft, wenn du wieder innere Freiheit und Unabhängigkeit erlangst und so wieder neue Lebensfreude und Leichtigkeit in dein Leben einziehen kann.
Bevor du generell irgendwelchen gesellschaftlichen Dogmen folgst, kannst du dich jedes Mal hinterfragen, ob diese gesellschaftliche Regel in diesem aktuellen Kontext jetzt für dich gut ist. Gleichzeitig kannst du das auch bei anderen tolerieren, bevor du vorschnell sagst, das gehört sich nicht oder das macht man doch nicht. Wir müssen hier tatsächlich immer die individuelle Situation und den jeweiligen Kontext sehen.
Hinterfrage wieder mehr
Von daher, um die Frage aus dem Titel dieses Newsletters ganz klar zu beantworten: Ja, du darfst deine Mutter respektive deine Eltern ablehnen. Es gibt kein Gesetz, was das verbietet und du machst dich damit auch nicht strafbar.
Du darfst es dir selbst wert sein, deine Bedürfnisse wahrzunehmen.
Du darfst es dir selbst wert sein, auf deinen Körper zu hören und dich zu schützen. Als kleines Kind konntest du dich nicht schützen. Da warst du deinen Bezugspersonen ausgeliefert. Aber jetzt kannst und musst du dich schützen! Das wird auch niemand anderer für dich tun.
Es kann gut sein, dass du dich anfangs, wenn du den erlebten Schmerz nicht überwindest und aufarbeitest, dass du dich schlecht fühlst, weil du die Stimme von deiner Mutter oder anderen Menschen in dir hörst, die dir einreden, dass man das nicht macht, dass das egoistisch ist, das sich das nicht gehört oder wie herzlos du bist.
Dabei haben diese Menschen, mit ziemlicher Sicherheit nie das erlebt, was du erlebt hast. Sie wissen auch wahrscheinlich nichts von deinem Schmerz, weil du nie davon erzählt hast. Deshalb können sie auch nicht nachempfinden, wie es dir geht, weil wenn sie eine liebevolle schöne Kindheit hatten, können sie sich nicht vorstellen, wie es ist, als Kind von der eigenen Mutter abgewertet und abgelehnt zu werden.
Kompromisse
Vielleicht musst du den Kontakt nicht sofort komplett abbrechen.
Vielleicht hilft es dir schon, den Kontakt zu reduzieren und dir Strategien anzueignen, wie du mit verletzenden Worten von deiner Mutter beim nächsten Treffen umgehst.
Zusätzlich empfehle ich dir unbedingt, dir externe Hilfe zu holen um das Erlebte aufzuarbeiten. Je mehr du aufarbeitest, umso leichter wird dir der Umgang mit deiner Mutter gelingen. Auch wenn sie nach wie vor verletzend ist, gibt es Lösungen, dass es dich nicht mehr verletzt. Schreib mir gern eine Mail, wenn du Interesse hast, mit mir daran zu arbeiten. Ich habe schon sehr vielen Menschen geholfen, mit diesen Situationen entspannter und gelassener umzugehen.
Ich hoffe, dass meine Zeilen dir etwas Klarheit gebracht haben, wenn du vielleicht auch gerade dieses Thema in deinem Leben hast. Wenn du jemanden kennst, dem dieser Beitrag jetzt gerade gut tun würde, dann leite ihn gern weiter oder teile den Beitrag.
Wenn du weitere Informationen über Narzissmus und meine Arbeit haben möchtest, dann abonniere gern meinen Newsletter hier: https://danielakreissig.de/newsletter/
Ich danke dir sehr fürs lesen und das du mir deine Zeit geschenkt hast und ich freue mich, wenn wir uns in der nächsten Beitrag oder im Coaching oder in einem meiner Onlineprogramme wiedersehen.
Bis dahin alles Liebe,
deine Daniela
P.S. Wenn du narzisstische Eltern hast/hattest oder in einer narzisstischen Beziehung warst oder noch von Narzissmus betroffen bist und die Folgeerscheinungen dein Leben beeinträchtigen und du dich davon befreien möchtest, dann buch dir gern ein kostenfreies Kennenlerngespräch hier: https://danielakreissig.de/kennlern-session/
Alles Liebe für dich,
Deine Daniela